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Dr. Ernst Kniprath
Sievershäuser Oberdorf 9
D 37574 Einbeck
Ernst Kniprath |
Susanne Stier-Kniprath |
Was manche Menschen antreibt, nachts Eulenforschung zu betreiben
Wenn das Schleiereulenjahr vorbei ist – in manchen Jahren schon Ende August, in manchen erst im November – dann atmen wir auf. Wir müssen uns nicht mehr ständig fragen: Wo müssen wir noch kontrollieren? Welche Jungeule müssen wir noch beringen? Und später, es ist gerade mal Weihnachten, ruft in der Scheune des Nachbarn ein Waldkauz. Spätestens jetzt beginnen die ersten Entzugserscheinungen: Wir haben „ewig“ lange keine Schleiereule mehr in der Hand gehabt!
Schleiereulen, das sind diese lautlosen Jäger in der Nacht, die fast niemand je gesehen hat. Das hat einmal damit zu tun, dass sie hierzulande tatsächlich nur in der Nacht unterwegs sind. Und noch: In der Stadt gibt es sie nicht (weil es da für sie nichts zu essen gibt) und im Dorf sind sie auch sehr selten, obwohl sie genau dort brüten, nicht etwa im Wald. Zumindest in Mitteleuropa sind sie zur Brut eng an den Menschen gebunden. Das liegt daran, dass sie ursprünglich gerne in Felsspalten brüteten. Als Ersatz haben sie sich schon seit mehr als zweitausend Jahren die Bauten der Menschen ausgesucht. Hier brüten sie und hier verbringen sie meist auch schlafend den Tag. Nachts jagen sie dann in der Umgebung auf freier Fläche nach Mäusen. Der Umstieg vom Felsen in die menschlichen Behausungen (natürlich auch Kirchen, Befestigungen und sogar Pyramiden) hat ihnen riesige, felsfreie Lebensräume erschlossen. Das allerdings setzte in Europa nördlich der Alpen voraus, dass die Menschen ihnen mit der Einführung von Ackerbau und Viehzucht die zur erfolgreichen Jagd notwendigen Freiflächen in den ehemals wohl weitgehend geschlossenen Wäldern eröffnet haben.
Nicht nur, dass ihr Flug weitestgehend geräuschlos ist – die Oberseite ihrer Federn ist „plüschig“ und die Vorderkante ihrer Flügel gezähnt – sie geben auch nur selten einen Ruf von sich. Der allerdings ist dann auch noch schwierig zu erkennen. Es ist ein manchmal lautes, manchmal nur leises Kreischen. Als Erkennungshilfe: Sprechen Sie das Wort „Kreisch“ sehr gedehnt aus, das „r“ nicht mit rollender Zunge sondern wie das „ch“ in „doch“. Genau so klingt das, was eine Schleiereule von sich gibt. Wir sind sicher, dass das Wort lautmalerisch den Schleiereulenruf wiedergibt.
Genug der Vorrede! Wie kamen wir nun darauf? Etwa zu der Zeit, als die DDR unterging, stand der Autor vor der selbstgestellten Frage, was er denn nach seinem Eintritt in das Rentenalter Sinnvolles tun könne. Da er schon als Schüler sehr viel Zeit draußen mit Ornithologie (also Vogelkunde) verbracht, anschließend Biologie studiert hatte und danach viele Jahre in der biologischen Forschung tätig gewesen war, stand fest: Es sollte Forschung an und mit Vögeln sein, so weit eben, wie man sie in der Kleinstadt oder deren Umgebung betreiben kann. Die konkrete Entscheidung für das genaue Thema fällte dann der Zufall.
Es stand in der örtlichen Tageszeitung: Der Göttinger Horst Weiter hatte im Laufe der vergangenen mindestens 15 Jahre in drei südniedersächsischen und einem nordhessischen Landkreis unermüdlich Nistkästen für Schleiereulen aufgehängt. Das war zu der Zeit der eher verzweifelte Versuch, den starken Rückgang dieser Eulenart aufzuhalten, wenn möglich sogar umzukehren. Es war ein Versuch, weil nicht sicher war, ob es tatsächlich in erster Linie die Wohnungsnot der Schleiereulen war, die den Rückgang verursacht hatte. Die Wohnungsnot war entstanden, weil einmal (gegen die verwilderten Tauben und deren Schmutz) die Kirchtürme vergittert worden waren. Damit gingen sehr wertvolle Brutmöglichkeiten für die Eulen verloren. Aber auch die Umstrukturierung der Landwirtschaft hatte ernsthafte Folgen: Es wurde immer weniger Getreide noch auf dem Halm in Scheunen gelagert. Auch das bereits gedroschene Getreide verschwand immer mehr in Silos. Die Zeiten für Mäuse wurden in den Scheunen immer schlechter, sie wurden deutlich weniger. Damit aber ging für die Schleiereulen eine bisher sichere Nahrungsgrundlage im Winter verloren. Das hatte in schneereichen Wintern, wenn die Mäuse draußen unter dem Schnee sicher versteckt waren, Hunger und Tod zur Folge. Aber auch immer mehr Scheunen verfielen, wurden abgerissen oder zu Wohnraum umgebaut. Und das wiederum reduzierte für die Eulen weitere, bisher sichere Brutplätze.
Die Aktion von Horst Weiter hatte im Landkreis Northeim in Südniedersachsen ein für die Eulen großartiges Ergebnis. Am Ende der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts standen ihnen rund 550 Nistkästen in Scheunen und Kirchtürmen zur Verfügung. Und sie nutzten sie in stetig wachsendem Maße. Ihre Zahl nahm wieder zu!
In der Zeitung hatte noch mehr gestanden: In einem Dorf – in Dassensen – hatten es die Schleiereulen trotz mehrerer Nistkästen vorgezogen, unter dem Dach einer Scheune zu brüten. Aus diesem Anlass rief Horst Weiter dazu auf, ihm weitere derartige Bruten zu melden. Da Ernst Kniprath trotz seiner ornithologischen Jugend erst zwei lebende Schleiereulen gesehen hatte, reizte es ihn, diese Brut unter dem Dach ausfindig zu machen. Und damit fing die nächtliche Arbeit an. An einem Abend im Juni mit angenehmen Temperaturen begab er sich gegen Sonnenuntergang nach Dassensen. Er wanderte bis weit in die Dunkelheit hinein im Dorf umher, bis er irgendwann die Jungeulen hörte. Die geben als Bettelruf ein Zischen – meist als Schnarchen bezeichnet – von sich. Von da an war es nicht mehr sehr schwierig. Nach etwa 10 Minuten flog einer der beiden Elternvögel über die von einer Laterne einigermaßen erleuchtete Straße direkt auf eine große Scheune zu. Als er dort ankam, verstärkte sich das Betteln der Jungeulen deutlich. Diese Futterflüge der Alteulen fanden danach etwa im Abstand von 15-20 Minuten statt.
Diese nächtliche Begegnung brachte augenblicklich die Entscheidung: Die weiteren Jahre sollten den Schleiereulen gewidmet sein. Zuerst begleitete er Horst Weiter bei seinen Kontrollfahrten und half, die jungen Schleiereulen im Auftrag der Vogelwarte Helgoland zu beringen. Dann übernahm er – wie mehrere andere Leute auch – in einem kleineren Bereich selbstständig die Kontrollen der Nistkästen auf Bruten der Schleiereulen.
Die folgenden Jahre dienten dazu herauszufinden, was an Kenntnis über die Schleiereulen vorhanden war, in der Umkehrung: was noch fehlte, was man dazu tun müsse und was leistbar war.
Vögel erhalten seit mehr als 100 Jahren mit Kennung versehene Ringe ans Bein. Organisiert werden diese Aktionen in Deutschland von drei Vogelwarten: Helgoland (in Wilhelmshaven), Hiddensee (in Greifswald) und Radolzell (am Bodensee). Die Ringe bestehen aus Edelstahl oder Aluminium und behindern die Vögel nicht. Werden solche beringten Vögel wiedergefunden, so lassen sich aus der seit der Beringung vergangenen Zeit und der Änderung des Aufenthaltsortes Schlüsse auf ihr Leben ziehen. Diese Daten werden besonders aufschlussreich, wenn man nicht nur darauf wartet, dass die Eulen irgendwann tot gefunden werden, sondern wenn man versucht, sie zwischendurch möglichst oft lebend in die Hand zu bekommen. Dann kann man ja über die Ringnummer den Lebensweg verfolgen.
In der Praxis sah das dann so aus, dass neben den Kontrollen der Nistkästen und der Beringung der jungen Eulen Methoden ausprobiert wurden, deren Eltern zu kontrollieren. Übrigens erfordert eine solche Arbeit nicht nur die Zustimmung der zuständigen Vogelwarte, sondern auch eine behördliche Genehmigung. Schließlich handelt es sich bei den Schleiereulen um geschützte Tiere, die nicht beliebig gestört oder gar gefangen werden dürfen. Zuerst wurde also mit der Vogelwarte Helgoland geklärt, welche Flächengröße für die statistische Auswertung hinreichend große Datenmengen erwarten ließ. Es folgte dann die Verpflichtung, nicht nur die Jungeulen zu beringen, sondern auch deren Eltern. Nur so waren Erkenntnisse zum Familienleben der Eulen zu erwarten. Diese Verpflichtung wurde allerdings nicht als solche empfunden, sie entsprach der Absicht von Ernst Kniprath.
Wie die Euleneltern in die Hand zu bekommen sind, hatte schon davor 20 Jahre lang Dr. Reinhard Altmüller im Bereich Celle erfolgreich erprobt. Die Knipraths mussten also hier nur noch die hinreichende Übung bekommen. Die Knipraths, das bedeutet seit 1994, dass sich auch die jetzige Frau von Ernst Kniprath, Susanne, an der gesamten Arbeit beteiligte. Damit gab es für die geplante Forschung optimale Voraussetzungen. Ende 1995 lag dann die Beringungserlaubnis von der Vogelwarte Helgoland vor. Es wurde festgelegt, die Untersuchung in der nördlichen Hälfte des Landkreises Northeim mit den Kommunen Dassel, Einbeck, Kreiensen, Bad Gandersheim und Kalefeld durchzuführen. Der Winter 1995/96 diente dazu, in diesem ca. 500 qkm großen Gebiet die Standorte aller Nistkästen zu erkunden und in einer elektronischen Datenbank festzuhalten. Diese Datenbank musste vorher zu dem Zweck entwickelt werden. Es ging darum, die anfallenden Daten sicher und gut auswertbar festzuhalten.
Schon bei der Suche nach den Nistkästen wurde klar, dass noch andere Vorbereitungen getroffen werden mussten. Es gab Kästen, die nur mit langen Leitern erreichbar waren, andere selbst so nicht. Wie das? Sie waren doch mal aufgehängt worden. Zu der Zeit hatte aber in manchen Scheunen noch sehr viel Stroh gelegen, man konnte zu Fuß hinkommen. Das Stroh war jetzt weg und in der Scheune gähnende Leere (oder Silos).
Die Knipraths starteten also über die Zeitungen eine Bettelkampagne für nicht mehr gebrauchte Leitern. Die gab es tatsächlich und wurden in vielen Fällen – weil nicht mehr gebraucht – bereitwillig abgegeben. Meist waren das Holzleitern, deren Gebrauch die bäuerliche Berufsgenossenschaft verboten hatte. Für die Eulenforscher gilt das Verbot natürlich nicht, die gehören ja nicht zu dem Berufsstand. Sie krachen auch auf eigenes Risiko durch die Leiter. Nach und nach kamen so über 100 Leitern zusammen. Die stehen jetzt fest am jeweiligen Nistkasten. Es muss nicht mehr die hofeigene Leiter irgendwo, z.B. im Kirschbaum, gesucht und herbeigeschleppt werden. Das war in den Anfängen oft notwendig und verbrauchte viel Zeit. Nicht selten wurde die Leiter auch (in der Nacht!) durch das Dorf getragen. Erstaunlich war, dass die Forscher nur ein einziges Mal den freundlichen (tatsächlich, nicht ironisch) Besuch der Polizei bekamen. Das hatte auch damit zu tun, dass „das Eulenauto“ recht bald in den Dörfern bekannt war: „Ach ja, die Eulenleute….“ Bei vielen der Kastenstandorte dürfen diese Eulenleute auch unangemeldet in den Gebäuden herumturnen (natürlich: ihre Arbeit machen). Einige der Hofeigner waren über die Eulen und die Eulenforschung sehr erfreut und bauten den Zugang zum Kasten durch festmontierte Leitern oder gar Treppen und auch eine Arbeitsplattform zu einer komfortablen Arbeitstätte aus. Die Forscher sind für solche Hilfe sehr dankbar.
Die eigentliche Arbeit begann dann Ende Mai/Anfang Juni 1996. Zu dem Zeitpunkt – wie aus anderen Untersuchungen, auch der von Dr. Altmüller, bekannt war – brüten die Schleiereulen, manche haben schon Junge. Wenn man dann zum Eulenkasten kommt, trifft man immer die Eulenmutter an. Diese brütet und hudert die Jungen alleine und verlässt den Kasten so gut wie nie. Da sie schon Tage vor der Eiablage im Kasten bleibt und die fünf bis sieben oder acht Eier im Abstand von zwei Tagen legt, ist sie für etwa acht Wochen fest an diesen gebunden. Das setzt in der Umkehr voraus, dass der Eulenvater in der Zeit ihre volle Versorgung übernimmt und ab dem Schlupf der Küken auch deren, so lange sie noch gehudert werden müssen. Danach kann auch die Eulenmama wieder für sich selbst jagen und sich auch an der Versorgung der Eulenkinder beteiligen.
Lassen wir ab hier die Eulenforscher selbst berichten: Also, wir kommen – tagsüber! – auf den Bauernhof und schauen uns erst einmal nach Spuren der Eulen um. Die findet man am ehesten unter den großen Vordächern der Scheunen. Auf deren ziemlich waagerechten Stützbalken sitzen die Eulen gerne in den Pausen ihrer Jagdflüge oder auch vor dem Schlafengehen am frühen Morgen. Von diesem Sitzplatz aus lassen sie ungeniert die Reste ihrer Verdauung nach unten fallen. Das gefällt natürlich nicht jedem, ganz bestimmt nicht dem, der gerade da sein Auto geparkt hat. Eulenkot ist ätzend und greift den Autolack an. Aber echte Eulenfreunde parken in der Zeit eben ihr Auto an anderer Stelle.
Gibt es derartige Spuren oder sagen uns die Hofleute, dass sie Eulen gehört oder gar gesehen haben, dann frohlocken wir: Hier müssen sie brüten. Dann gibt es je nach Lage unterschiedliche Strategien: Ist die Einflugöffnung am Kasten (außen am Gebäude) nicht höher als 8 Meter, dann wird sie von außen verschlossen. Das machen wir mit einem Stopfen passender Größe aus Hartschaum. Der ist am oberen Ende von zusammengesteckten Aluminiumstangen befestigt. So, wer jetzt im Kasten sitzt, kann nicht mehr entkommen. Das gilt natürlich auch für die Kästen, in denen wir im Laufe der Jahre Zugbrücken (wie bei mittelalterlichen Burgen) angebracht haben. Diese Zugbrücken werden aus einigem Abstand bedient, damit die Eulen nicht schon frühzeitig gewarnt werden und abfliegen.
Das Entkommen wollen wir deshalb verhindern, weil wir ja schließlich sehen wollen, ob die Eule schon einen Ring hat. Hat sie einen, dann ist es meistens eine, die wir selbst beringt haben. Dann wissen wir, wer sie ist und woher sie kommt. Gelegentlich ist mal eine dabei, die wir nicht selbst beringt haben, die also von außerhalb kam. Einmal haben wir einen Eulenmann gefangen, der aus dem Schweizer Jura stammte. Das war Karli. So haben wir den benannt. Alle brütenden Eulen haben Namen. Das hilft uns, die einzelnen Eulen auseinander zu halten. Die Ringnummern wären dazu viel zu unpraktisch. Schreibt man „Karli“ auf, dann gibt es keinen Zahlendreher wie bei 483429. Und wer kann schon solche Zahlen behalten, die aus Serien stammen und daher alle so ähnlich sind?
Unser Verfahren sieht so aus: Jede Eule erhält einen „Familiennamen“. Das ist der des Hauses, in dem sie gefangen wurde. Bei Kirchen nehmen wir meist den Namen der Küsterin. Eulen, die brüten, erhalten noch einen Vornamen. Wir machen das nicht bei allen Eulen, weil es so viele Namen gar nicht gibt. Und dann vergeben wir die Namen noch jahrweise nach dem Alphabet. Das machen z.B. auch Hundezüchter so. Wenn wir einen unserer Jungvögel später als Brutvogel wiederfinden, erhält er zu seinem „Geburtsnamen“ noch einen „Brutnamen“, wieder nach dem Namen des Hauses. Bisher hat es keinen Fall gegeben, dass einer unserer Jungvögel in seinem Geburtshaus gebrütet hat. Diese Doppelnamen führten zu interessanten Namen, weil ein Hausname „Prinz“ ist, als zu „Umberto Prinz-Jörges“ oder sogar zu „Jörg Prinz-von Seelen“.
Kommen wir wieder zurück zu den Kontrollen der Eulenkästen, bei denen wir das Einflugloch verschlossen haben. Ist in dem Kasten tatsächlich eine Brut, so ist in den ersten beiden Monaten immer das Weibchen da. Hat sie einen Ring, so schreiben wir die Nummer auf, hat sie keinen, „spendieren“ wir ihr einen. Der Ring wird am federfreien Teil eines Beines angelegt. Auch wenn es keine weitere Bedeutung hat, bei uns ist in den geraden Jahren das rechte und in den ungeraden das linke Bein dran. Manchmal ist auch das zugehörige Männchen da. Die Prozedur ist die gleiche.
Wie aber wissen wir, wer er und wer sie ist? Bei Eulen brüten, wie wir schon sagten, ausschließlich die Weibchen. Wenn also nur eine Eule bei der Brut ist, so ist das garantiert sie. Sind beide Eltern da, müssen wir genauer hinschauen, weil sie sich rein äußerlich nicht sicher genug unterscheiden. Auch beim Gewicht ist die Unterscheidung nicht ganz sicher möglich. Die Gewichte überschneiden sich. Übrigens sind die Weibchen etwas größer und schwerer als die Männchen. Auch das hilft uns bei der Unterscheidung. Zum Wiegen kommen die Eulen in einen Stoffbeutel und werden mit einer Federwaage gewogen. Aber das sicherste Merkmal ist immer, dass die Weibchen auf der Bauchseite einen Brutfleck haben, eine Fläche von der Größe der Handfläche eines Kindes von sechs Jahren etwa. Das ist eine stark durchblutete Hautpartie, mit der die Eule die Eier wärmt, genau so wie bei fast allen Vögeln, auch Haushühnern. Nach dieser Prozedur setzen wir die Eulen wieder in den Kasten, das Weibchen direkt auf die Eier oder die Jungen. Das beruhigt sie und fast alle Eulenmütter bleiben gleich dort und brüten oder hudern unbeirrt weiter. Überhaupt sind die meisten Schleiereulen recht friedfertige Vögel, jedenfalls uns gegenüber. Sie beißen auch nicht, auch wenn ihr Schnabel dazu gut geeignet wäre. Nur vor ihren Krallen nehmen wir uns in acht.
Ist das Männchen nicht da, so bedeutet das für uns Nachtarbeit. Schleiereulen fliegen nur nachts herum. Das Männchen, das ja die Familie versorgen muss, kommt erst, wenn es völlig dunkel ist und vorher muss er erst eine Maus fangen. Warum sollte er nach hause kommen, wenn er keine Maus mitbringt? Also kommt unsere Chance, ihn zu fangen, erst, wenn es völlig dunkel ist. Und das Fangen geht so, dass wir eine Falltür in den Eingang des Nistkastens bauen, die er über einen Stolperfaden auslöst, wenn er dann mit einer Maus zur Fütterung seiner Familie ankommt. Auch wenn die meisten Weibchen gleich weiterbrüten, verlassen wir uns nicht ganz auf ihre Toleranz. Über sie und über ihre Brut stülpen wir einen Fahrradkorb. Den kann sie, selbst wenn sie wollte, nicht verlassen und eventuell unsere Falle auslösen.
Dann warten wir im Auto nicht weit weg, so dass wir den Nistkasteneingang unter Kontrolle haben. Das Männchen kommt dann irgendwann. Manchmal kann das ganz schnell sein, kaum dass es wirklich dunkel ist, manchmal aber auch nach sehr langer Warterei. Manche Männchen fliegen ohne zu zögern direkt in den Kasten und wir hören mit Erleichterung das Zuschlagen der Falltür. Andere aber sind misstrauisch. Sie kommen vorsichtig herangeflogen, prüfen die Lage und fliegen vorbei. Das Spiel kann sich mehrfach wiederholen. Für unsere Nerven ist das eine ganz schöne Anspannung. Und dann gibt es gelegentlich einen Eulerich, der dann immer noch nicht in die Falle geht. Nicht nur einmal haben wir erlebt, dass er sich irgendwo auf das Dach setzt und abwartet, wieder wegfliegt und dann wieder auf dem Dach sitzt. Es kommt vor, dass solch ein misstrauisches Männchen dann zu uns herüberschaut und weiterwartet. Wir hatten gelegentlich den Eindruck, als kenne er unser Auto und wisse, was da läuft. Ganz abwegig ist das nicht. Zum Test, aber auch, weil wir die Warterei leid waren, sind wir bei einer Gelgenheit weggefahren und nach längerer Pause zurückgekehrt. Er war drin. Der Hausbewohner hatte sich aus seiner Stube unsere Warterei vorher schon angeschaut. Uns sagte er dann: „Ihr wart noch nicht vom Hof, da kam er an und flog sofort in den Kasten.“ Natürlich waren wir froh, dass er drin war. Von der Vorstellung, dass manch eine Eule unser Auto kennt, waren wir eher nicht begeistert.
Wieso sind eigentlich manche Eulenmänner nicht bei ihrer Familie? Wir könnten uns die Sache leicht machen und die Frage mit einem Thekenspruch erledigen: „Sind doch anderswo auch meistens nicht zu hause“. Aber unsere Fragen sind wissenschaftlich und wir wollen sie wissenschaftlich beantworten. Anfangs, also ganz bestimmt, so lange das Weibchen noch Eier legt, sind sie Tag und Nacht bei ihrem Weibchen. Es geht nicht nur darum, eventuell auftauchende Feinde abzuwehren sondern viel mehr darum, anderen Männchen jede Chance zu einem ungebetenen Besuch zu verleiden. Das ist später, wenn die Jungen geschlüpft sind, nicht mehr so unbedingt nötig. Dann bleiben die Männchen auch schon mal nachts weg. Und noch viel später, wenn die Jungen größer sind und in dem Kasten herumturnen und dann auch noch nach Futter betteln, verschaffen sich die Männchen ihre Ruhe und schlafen anderswo.
Eulenmännchen zu fangen ist also Nachtarbeit. Und je mehr Eulenpaare es gibt, umso mehr Nächte sind wir beschäftigt. Wir wollen sie alle kennen lernen. Das ist nicht einfach Sport sondern wir wollen möglichst viel über die Geschichte und das Leben der einzelne Eulen aber auch der Eulenpaare wissen. Dabei kam auch heraus, dass Schleiereulen normalerweise treue Partner sind, normalerweise. Aber gelegentlich kommt es auch anders: Paare trennen sich. (Wie war das mit dem Thekenspruch?) Solche Ereignisse sehen wir natürlich nicht direkt, können aber Rückschlüsse ziehen. Wenn wir beide Partner eines Paares wiederfinden, aber nicht mehr zusammen, sind wir sicher, da war eine Scheidung. Wir haben aber auch gelegentlich gefunden, dass ein Männchen zwei Bruten gleichzeitig hatte, Bigamie also oder genauer: Bigynie. Den umgekehrten Fall, Biandrie, ein Weibchen mit zwei Männchen, haben wir noch nicht gefunden. Das aber ist wegen der strengen Rollenteilung beim Brutgeschäft auch nicht so leicht möglich. Ein Weibchen kann nicht an zwei Orten gleichzeitig brüten oder hudern. Also wäre nur die Bebrütung der Eier von beiden Männchen im gleichen Kasten möglich. Das kommt wohl nicht so oft vor, dass wir es hätten nachweisen können.
Zurück zu den Eulenbruten. Wenn das jüngste Kind des Eulenpaares mindestens 10 Tage alt ist, sind seine Füße so dick, dass ein Ring nicht mehr vom Bein rutschen kann. Dann kommen wir wieder und beringen alle Eulenkinder. Zu dem Zeitpunkt müssen wir aber keine Nachtarbeit mehr machen. Das Männchen ist, wie wir jetzt wissen, dann sowieso nicht da und das Weibchen sehr oft auch nicht. Die Eulenkinder sind jetzt so groß, dass sie nicht mehr gehudert werden müssen. Ihr Körper produziert die notwendige Wärme selbst. Und fortfliegen können die Eulenkinder dann noch nicht.
Die Beringung von Eulenkindern nutzen wir oft dazu, den Hofbewohnern aber auch anderen zu zeigen, welch faszinierende Vögel die Schleiereulen sind. Besonders Kinder sind davon begeistert, die dunigen Jungeulen anzufassen oder gar in die Hand zu nehmen. Dabei ist keine besondere Vorsicht notwendig. Anders als die meisten Säugetiere benutzen die Schleiereulen ihre Nase nicht dazu, ihre Jungen zu erkennen. Es ist also völlig risikolos, die jungen Eulen anzufassen. Die Eltern merken es später überhaupt nicht. Es gibt also kein Risiko, dass die Jungeulen deshalb verlassen würden.